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14 nov. 2019

Kopf der Woche - Sie wollte wissen, wie das alles funktioniert

Die Freisinnige Johanna Gapany verdrängt den Freiburger CVP-Supertanker Beat Vonlanthen aus dem Ständerat. Wie hat die 31-jährige Ökonomin dieses Kunststück fertiggebracht?

Von Hubert Mooser - Weltwoche, 14. November 2019

Selbst am Ende eines langen Tages, nachdem sie Interviews an Interviews gereiht hat, zeigt Johanna Gapany keine Ermüdungserscheinungen: Noch spät am Abend sprudelt es aus ihr nur so heraus. Gapany redet wie ein Maschinengewehr und macht dabei erst noch eine gute Falle. Nein, Zeit für ein persönliches Treffen habe sie nicht, sie fahre gleich nach diesem Gespräch in die Ferien. Und ja, sie beantworte gerne alle Fragen. Und wenn man sie dann fragt, ob sie nicht selbst ein bisschen überrascht sei über ihre Wahl, dann kommt die Antwort sofort, als habe sie sich diese schon lange zuvor zurechtgelegt. «Ehrlich gesagt, war das so», sagt Gapany. «Als ich mich für eine Kandidatur interessierte, haben mir viele Leute geraten, ich solle unbedingt antreten. Das sei eine gute Erfahrung für mich und gut für das Image. Aber ich solle mir keine allzu grossen Chancen ausrechnen.» 

Wunder von Freiburg 
Am letzten Wochenende hat sie es allen gezeigt: Nach einem wegen einer Informatikpanne endlos dauernden, aber spannenden Wahlkrimi verdrängte die Freisinnige den früheren CVP-Staatsrat und amtierenden Ständerat Beat Vonlanthen aus Amt und Würden. 138 Stimmen gaben den Ausschlag, dass Gapany siegte. Die Freiburgerin ist damit die jüngste Ständerätin; die Genferin Lisa Mazzone (Grüne), die ebenfalls am letzten Sonntag die Wahl in die Kleine Kammer schaffte, ist ein paar Monate älter als Gapany. Seither überschlagen sich die Zeitungen mit Elogen über die Neue aus dem Kanton Freiburg. Der Tages-Anzeiger bezeichnete ihre Wahl als das «Wunder von Freiburg», andere Blätter als Sensation. Der Generalsekretär der FreiburgerFDP, Savio Michellod, spricht von einer freudigen Überraschung, als hätte Gapany eben ein Kind zur Welt gebracht. «Wir haben aber schon auch damit gerechnet, dass der aktuelle Trend, mehr Frauen und Junge ins Parlament zu wählen, eine entscheidende Rolle spielen könnte.» Mit Gapany kann die Freiburger FDP erstmals wieder seit 2003 einen Ständerat nach Bern schicken. Und Gapany ist auch die erste Ständerätin des Kantons Freiburg überhaupt, worauf sie besonders stolz ist. «Die Freiburgerinnen und Freiburger haben mit ihrer Wahl gezeigt, dass sie nicht länger akzeptieren, dass die Frauen in der Bundespolitik untervertreten sind.» Im Nationalrat habe sich die Vertretung der Frauen seit der Wahl vom 20. Oktober etwas gebessert. Aber der Ständerat sei noch weit von einer angemessenen Frauenvertretung entfernt. 


Fondueplausch auf Facebook 
So überraschend ihre Wahl gewesen ist, Gapany kam nicht einfach aus dem Nichts. In Freiburg wirbelt die gelernte Ökonomin schon seit Jahren durch die Politlandschaft. Das Westschweizer Magazin L'illustre attestierte ihr schon Anfang Jahr in einem Beitrag über Jungpolitiker grosses politisches Talent. Auf den Fotos sieht sie aus wie das nette Mädchen von nebenan. Grosse grüne Augen, dunkelblondes Haar, schlanke Statur. Wenn sie einfach dasteht und nichts sagt, wirkt sie fast ein wenig schüchtern und verloren. Sobald sie aber zu reden anfängt, ist Gapany wie verwandelt. Auf den Videos, mit denen sie ihre Anhänger auf Facebook zum Fondueplausch in Kerzers einlädt oder ihren Wählern für das in sie gesetzte Vertrauen dankt, wirkt sie, als habe sie bisher bei einem Radiosender als Korrespondentin gearbeitet: selbstsicher, authentisch, kompetent. Sie ist im Greyerzerland aufgewachsen, in La Tour-de-Tr8me. Das ist nicht weit weg vom Wohnort von SP-Präsident Christian Levrat, mit dem sie künftig das Freiburgerland im Ständerat vertreten wird. Die Gapanys sind eine alteingesessene Familie und, soweit man zurückdenken kann, mit den Radikalen verbunden, also mit dem etatistischen Flügel der Freisinnigen. Der Vater war Landwirt, sass im Gemeinderat von La Tour-de-Treme. Es gibt aber auch familiäre Beziehungen in den deutschsprachigen Sensebezirk. Deshalb heisst Gapany mit Vornamen Johanna und nicht Jeanne. «Das tönt in beiden Sprachen aber gut», findet die neue Freiburger Ständerätin. La Tour-de-Treme gibt es heute als eigenständige Gemeinde nicht mehr, der Ort fusionierte 2006 mit dem Bezirkshauptort Bulle. Johanna Gapany, damals noch nicht volljährig, bekämpfte diese Fusion. Nach eigenen Angaben stiess sie dabei selbst bei ihrer Familie auf taube Ohren. Ein Jahr später, mit neunzehn Jahren, trat sie den Jungfreisinnigen bei, wo sie es dann bis zur Vizepräsidentin der Jungfreisinnigen Schweiz brachte. Nach ihrem Wirtschaftsstudium an der Uni Freiburg trat sie eine Stelle beim Daler-Spital im Kantonshauptort an. Dort ist sie heute Projektchefin und für die Kommunikation zuständig. Die Privatklinik hat eine spannende Geschichte. «In ihren Anfängen war sie für die reformierten Bürger bestimmt, die Schwierigkeiten hatten, in katholisch verwalteten Einrichtungen behandelt zu werden», erzählt Gapany. 

Länger feiern dank Gapany 
2011 kandidierte sie erfolglos für den Nationalrat, 2015 leitete sie die Kampagne der FDP bei den eidgenössischen Wahlen. Das Jahr 2016 wurde für sie zu einer entscheidenden Wegmarke. Sie wurde in die Gemeindeexekutive von Bulle gewählt, wo sie die Abteilung «Sport und öffentlicher Raum» leitete. Im gleichen Jahr schaffte sie auch den Sprung ins Kantonsparlament. Dass man in Freiburg schon bald länger feiern kann, geht auf einen ihrer Vorstösse zurück, in dem sie eine Verschiebung der Sperrstunde von vier auf sechs Uhr morgens forderte. Als Interessenbindungen gibt die junge Frau unter anderem Verwaltungsratssitze in öffentlich-rechtlichen Unternehmen wie der Eausud SA, der Elektrizitätsgesellschaft Gruy&-e Energie SA und der regionalen Wirtschaftsförderung Espace Gruyere an. Zum Wahlkampfthema «Pöstchenjägerei» sagt sie: «Gewisse Mandate können schon zu einem Interessenkonflikt führen.» Bei ihrem Konkurrenten Beat Vonlanthen waren diese wohl auch mitentscheidend für seine Abwahl. Die lukrativen Zusatzmandate des CVP-Ständerats, über die die Weltwoche ausführlich berichtet hatte, waren jedenfalls im Freiburger Wahlkampf ein Dauerbrenner. Vonlanthen gehörte im Ständerat dem erlauchten Klub mit den lukrativsten Zusatzjobs an. Aber der erfahrene Politiker habe seine Konkurrentin wohl auch unterschätzt, heisst es jetzt in Freiburg. 

Brillieren auf dem Podium 
Sicher ist: Gapany hat nichts dem Zufall überlassen, ihre Wahl hat sie minutiös und fast generalstabsmässig vorbereitet. Sie habe nicht einfach eine Ehrenrunde drehen wollen. Als man ihr gesagt habe, dass sie antreten solle, aber verlieren werde, habe sie eine ganze Reihe von Leuten kontaktiert, die sich in der speziellen Mechanik von Bundesbern und insbesondere des Ständerats auskennen. «Ich wollte wissen, wie das alles funktioniert», sagt Gapany. Sie kniete sich in die entscheidenden aktuellen Dossiers hinein, damit sie gegenüber den amtierenden Mitbewerbern nicht abfiel. Tatsächlich machte sich das später während des Wahlkampfs auf Podien bezahlt. Gapany brillierte mit ihren Vorschlägen und Argumenten, während andere, wie der gestandene Vonlanthen, neben ihr eher blass wirkten. Allerdings gibt sie zu verstehen, dass sie nicht gegen einen bestimmten Kandidaten angetreten sei. «Ich bin ins Rennen gestiegen, weil ein Teil der Bevölkerung im Parlament nicht entsprechend repräsentiert ist, nämlich die Jungen und die Frauen.» Den grössten Reformstau ortet die Neugewählte bei der AHV: «Ich bin für ein flexibles Rentenalter.» Bei der CO2-Revision müsste man ihrer Ansicht nach noch einen Zacken zulegen. «Ich bin aber nicht der Meinung, dass man die Reformen so gestalten soll, dass den Leuten dann zusätzliche Abgaben aufgebürdet werden.» Man müsse den Leuten die Chance geben, dass sie ihren Lebensstil selbst änderten, und sie zum Beispiel überzeugen, dass sie gescheiter Fernwärme nutzten, als mit Öl zu heizen. 

Staatsgläubige welsche FDP 
Politisch liegt die Greyerzer Freisinnige in bester Tradition der welschen staatsgläubigen FDP. Sie politisiert eher am linken Rand ihrer Partei, jedenfalls auf dem Papier. Mit ihr und den neugewählten grünen Ständeräten dürfte also auch die Kleine Kammer noch mehr nach links driften. Vorläufig steht für Gapany etwas anderes im Vordergrund: vier Tage ausspannen. Wo sie das tun wird, weiss sie allerdings noch nicht. Das habe ihr Partner arrangiert, sie lasse sich überraschen, aber sie sei auf jeden Fall über alle Kanäle erreichbar, betont sie gleich mehrmals. Eine Parlamentarierin, die insistiert, man könne sie auch in den Ferien problemlos anrufen und stören - es geschehen tatsächlich noch Wunder.
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